GEORGE ENESCU (1881 – 1955) | |||
Sonate Nr. 3 a-Moll für Klavier und Violine, op. 25 „in volkstümlichem rumänischen Charakter“ (1926) | 25:10 |
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Moderato malinconico | 8:24 |
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Andante sostenuto e misterioso | 8:34 |
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3 |
Allegro con brio, ma non troppo mosso | 8:14 |
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Ballade (1895) | 4:39 |
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Impromptu concertant (1903) | 5:17 |
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Andante malinconico (1951) | 2:26 |
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Tarantelle (1895) * | 4:10 |
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Hora Unirei (1917) * | 2:06 |
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Sonate Nr. 2 D-Dur für Klavier und Violine, Op. 2 (1897) | 24:08 |
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Allegro vivo | 7:27 |
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Quasi adagio | 9:03 |
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Allegro | 7:38 |
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Gesamtspielzeit | 69:35 |
* WELT-ERSTEINSPIELUNG
Weitere und längere Hörproben unter: www.remusazoitei.com/recordings.html
George Enescu: Sämtliche Werke für Violine und Klavier, Vol. 2
Remus Azoitei, Violine
Eduard Stan, Piano
Label: Hänssler Classic
Katalognummer: CD 98.240
Aufnahmedatum: 14.-17. März 2006
Aufnahmeort: Radio Bremen, Deutschland
Violine: 1699 Antonio Stradivari „Kustendyke“
Flügel: Steinway & Sons D, Hamburg
Booklettext: © Eduard Stan
„Könnte sich der Leser einen Mann mit enzyklopädischem Gedächtnis vorstellen, der zeitlebens niemals etwas vergaß, was er gehört, gelesen oder gesehen hatte, und der aus dem Stegreif jedes Werk von Bach, Wagner bis hin zu Bartók abrufen und es in glühendster Weise vorspielen konnte; könnte sich der Leser jenen Geist gepaart mit dem großzügigsten und selbstlosesten Herzen in einem menschlichen Wesen vorstellen, von schöner Adelsgestalt und romantischen Gesichtszügen, beständig angetrieben von einem schöpferischen Geist, sei es beim Reden, Unterrichten, Dirigieren, beim Violin- oder Klavierspiel, und insbesondere beim Komponieren – so wäre das Bild immer noch unvollständig. Ein Mann voller Humor (ein höchst amüsanter Karikaturist dazu) und gleichzeitig tiefgründiger Philosophie, vertraut mit Sprachen und Literatur Europas und Englands; ein Mann durchdrungen von höchsten Formen der Höflichkeit und fundamentalem, aber weltoffenem Patriotismus – dieser war mein Lehrer...“ – Dieses bewegende Plädoyer Yehudi Menuhins, nachzulesen in seinem Vorwort zum ersten englischsprachigen Buch über Enescu („George Enescu – His Life and Music“ von Noel Malcolm, erschienen 1990 bei Toccata Press), ist nur eines von vielen authentischen Zeugnissen staunender Zeitzeugen, die das Andenken an die Genialität des rumänischen Komponisten wahren.
Die zweite und letzte CD der Weltersteinspielung von Enescus Gesamtwerk für Violine/Klavier enthält neben zwei Sonaten mehrere kürzere Werke. Als kleine Perle in perfekter dreiteiliger Form erscheint die 1895 in Paris komponierte „Ballade“ des frühreifen Vierzehnjährigen. Ihr dramatischer Mittelteil kontrastiert mit der inspirierten Geigen-Kantilene der Eckteile, die nach barockem Vorbild (Basso continuo) begleitet wird. Aus dem gleichen Jahr stammt die „Tarentelle“, die hier zusammen mit der „Hora Unirei“ erstmals auf Tonträger aufgenommen wurde. Erstere ist ein unveröffentlichtes Werk, von dem glücklicherweise eine Kopie des Manuskripts existiert, und scheint im choralartigen B-Teil den Geist des jungen Brahms im Gewand von Enescus Musik einzufangen. Die Hora Unirei von 1917 („hora“ ist ein rumänischer Bauerntanz) weist keine der kompositorischen Eigenheiten Enescus auf, der zu jenem Zeitpunkt u.a. zwei Sinfonien und Orchestersuiten vollendet sowie mit dem neuartigen „Carillon nocturne“ bereits Elemente seines Spätstils antizipiert hatte.
1903 entstand in Paris sein „Impromptu concertant“, ein Musikstück im Genre jener „morceaux de concours“, wie Enescu sie nachfolgend auch anderen Instrumenten widmete (Konzertstück für Viola, Légende für Trompete, Cantabile et Presto für Flöte, Allegro de Concert für chromatische Harfe). Der Titel und die Vortragsangabe „chaleureux“ (warmherzig) sind für diese meisterhaft verwobene Improvisation trefflich gewählt. In ihr umschlingen sich beide Instrumente wie Arabesken, vom Zauber postromantischer Harmonik umhüllt. Wenngleich seine Jugendwerke nur wenige Jahre zurückliegen, steht es dem nostalgischen „Andante malinconico“ von 1951, das Enescu als „Morceau de déchiffrage“ anlässlich eines Blattspiel-Wettbewerbs am Pariser Conservatoire komponierte, stilistisch näher. Mit diesem bewegenden, von Melancholie umwobenen, ja mystischen Adieu im Charakter des „Fin de Siècle“ verabschiedet sich der durch die Bechterewsche Krankheit gezeichnete Komponist von der Gattung Violine/Klavier, wie in Vorausahnung seines Todes vier Jahre später.
Die mit 1897 datierte 1. Violinsonate ist die erste von fünf großen Kompositionen (drei Sonaten, Torso-Sonate und Impressions d’enfance) und ein für Enescu noch wenig repräsentatives Werk. Gleichwohl verrät der Erstling des Sechzehnjährigen bereits eine souveräne Handhabung der Form. Die frühe Schulung am Wiener Konservatorium trägt, wie die Beschäftigung mit der Sonatenform Beethovens, erste Früchte, und mühelos integriert Enescu in den 2. und 3. Satz ein jeweils ausladendes Fugato, gleichsam als Hommage an Bach. Allerdings sieht der hochvirtuose, mit Tremoli durchsetzte Klaviersatz eher dem Klavierauszug einer Sinfonie als einer Sonate ähnlich. So fühlt man sich in Gestus und orchestraler Satzart durchaus an den Sturm und Drang der frühen Klaviersonaten seines dritten Vorbildes Brahms erinnert („Brahms, Bach und Beethoven – meine Götter!“).
Die 3. Violinsonate, die Enescus Untertitel „dans le caractère populaire roumain“ („im volkstümlichen rumänischen Charakter“) trägt und nach den beiden rumänischen Rhapsodien sein meistgespieltes Werk ist, wurde noch zu Lebzeiten des Komponisten als „prophetisches Meisterwerk“ (Bernard Gavoty) erkannt. Wie im Fall der Impressions d’enfance (1940) frappiert in dieser schon 1926 erschienenen Sonate der graphische Aspekt der Partitur, die Menuhin als „größte Errungenschaft musikalischer Notation“ jener Zeit betrachtet. Zu Recht merkt der Enescu-Kenner Pascal Bentoiu an, dass die klingende Übersetzung dieses „graphischen Wunders“ eine Klangwelt eröffnet, die zum Zeitpunkt der Fertigstellung der Komposition in ihrer Vielfalt und Pracht wohl in keinem anderen Werk der Gattung Violine/Klavier jemals zuvor erreicht wurde. Einer der Gründe dafür liegt auch im Einsatz beider Instrumente gleichsam als Medium zur Darstellung anderer Klangsphären. So suggeriert z.B. das Klavier über weite Strecken rumänische Volksmusik-Instrumente wie Zimbal, Laute und Pizzicato-Kontrabass, so imitiert die Violine in der Vogelgezwitscher-Episode Mitte des 2. Satzes jene Musikanten (rum. „lautari“), die in ihrem Geigenspiel selbst Vogelstimmen nachahmen (Dinicus Lerche – rum. „ciocarlia“ – grüßt quasi aus dem Wirtshaus), ebenso wie der Höhepunkt des 1. Satzes im Klavier einem Gong nachempfunden ist. Unerhört gar die wie hypnotisch wirkenden Einton- und Quintrepetitionen des Klaviers im 2. Satz, die das stetige Sommernachts-Zirpen der Grillen (Anfang) bzw. das klösterliche, zum Gebet rufende Klopfbrett (monotone Quintbrechungen in tieferem Register) heraufbeschwören.
Darüber hinaus personifiziert die Violine an den dramatisch entscheidenden Stellen der Komposition eine ergreifende „vox humana“. Man höre dazu die thematischen Oktavsequenzen im Höhepunkt des 2. Satzes, und insbesondere jenes finale Seelendrama menschlicher Wehklage, welches das „Tanz-Festival“ des 3. Satzes jäh beendet. Ferner fasziniert neben der Notation von Violin-Vierteltönen die einzigartige Ornamentik dieser Musik, ihre mythisch-narrative Dimension (das Werk beginnt im „parlando-rubato“ gleichsam mit jenem berühmten „Es war einmal...“) und ihr improvisatorischer Charakter, der scheinbar im Widerspruch zur Detailgenauigkeit der Notation steht. Nach so vielen Überraschungen offenbart eine genaue Partituranalyse das vielleicht größte Wunder dieser Komposition: keines der genannten Elemente existiert zum Selbstzweck, denn vielmehr sind sie gänzlich in eine großartig proportionierte und dramaturgisch wohlüberlegte Sonatenform integriert. Jeder einzelne Satz spinnt, ebenso wie die ganze Sonate, anhand eines „roten Fadens“ sein existentielles Drama – und quasi „en passant“ werden allerlei zauberhafte Blümchen aufgelesen... Dieses Musterbeispiel an Originalität besitzt durch seine aus dem rumänischen Volkstum bezogene Inspiration eine zutiefst persönliche Note, ist aber gleichzeitig fest im Fundament der abendländischen Formtradition großer Komponisten verankert.
© Eduard Stan
Ein Hauch von rassig-rumänischem Feuer in diesem ansprechenden Repertoire für Violine und Klavier
„… Alle fünf Miniaturen werfen ein Schlaglicht auf den kultivierten und zugleich vibrierenden Violinstil Remus Azoiteis, ein unverwechselbarer Geiger, in dessen Klangwelt Enescus eigenes Klangidiom widerhallt… Denkwürdig geschmeidig präsentiert sich Azoiteis Pianist Eduard Stan sowohl im Anschlag als auch im Rhythmus – bedeutende Attribute in der 3. Violinsonate, dem letzten und großartigsten Violinwerk mit seinen trickreichen Übergängen, komplexen wie geistreichen Tanzsequenzen und feurigen Höhepunkten, insbesondere im Finale… Bei Azoitei und Stan paaren sich Temperament, Meisterschaft der Klangrede und Eleganz der Ausführung in ganz besonderer, unverkennbarer Weise. Sie formen diese Musik klangschön, die unter manchen Händen bloß als ausgedehnte Improvisation daherkommt, und verleihen ihr erkennbare Form… Diese Aufführungen werden mit höchstem Engagement gespielt und geschmackvoll phrasiert, so dass man, so man Gefallen an diesem Repertoire hat, nicht weiter suchen muss: Dies ist eine erstklassige Gesamteinspielung.“
Mutterwitz – George Enescus Werke für Violine und Klavier
„Den Grauschleier des Bandrauschens durchdringen leidenschaftliches Violinmelos, luzide Klavierbravour: In einer historischen Aufnahme von 1943, veröffentlicht vom Label Dante, spielt der Geiger und Komponist George Enescu mit dem legendären Pianisten Dinu Lipatti seine zweite und dritte Violinsonate. Bereits sieben Jahre zuvor hatte Enescus Schüler Yehudi Menuhin mit seiner Schwester Hephzibah diese dritte Sonate a-Moll op. 25 mit dem Untertitel „dans le caractère populaire roumain“ für die EMI eingespielt. Zumindest für diese beiden Werke also haben die rumänischen Künstler Remus Azoitei und Eduard Stan in der ersten Gesamteinspielung von Enescus Kammermusik für Violine und Klavier authentische Ahnen. Die erste Folge mit den „Impressions d’enfance“, dem Moderato-Satz einer verschollenen Sonate sowie der zweiten Sonate liegt bereits vor (F.A.Z. vom 21. April 2007). Das zweite Album ergänzt nun zur Gesamteinspielung und beginnt mit Sonate Nr. 3.
Menuhin hatte seinerzeit geklagt, dass „sich niemand die Mühe macht, genau zu lesen, was er (Enescu) geschrieben hat“. Diese Genauigkeit beschrieb er in seiner Autobiographie „Unvollendete Reise“ als „die in lebendige Botschaft verwandelte Note, die gestochen scharfe, bedeutungsgeladene Phrase, die zum Leben erweckte Musikstruktur“. Genau diese habe er bei Enescu gelernt. Die Sonate Nr. 3 a-Moll (1926) bestätigt nun beispielhaft Menuhins praxisbezogene Beobachtung von Enescus ungewöhnlich informationsdichtem Stil. Für die Interpreten heißt das: Nicht allein sind penible Spielanweisungen zu berücksichtigen, auch die Überlagerung von improvisatorischer Sprunghaftigkeit und klarem Formaufbau, von frei volksmusikantischem Gestus und kunstvoller Zügelung des Ausdrucks will beherrscht sein.
Ähnlich wie die Geschwister Menuhin und das Duo Enescu-Lipatti meistern der Geiger Remus Azoitei und der Pianist Eduard Stan diese Balanceakte mit eminentem Klangfarbensinn und viel Verständnis für Enescus rumänische Seele. Im „Moderato malinconico“ der a-Moll-Sonate gewinnen sie dem rhapsodischen Schweifen spannungsgeladene Folgerichtigkeit ab. Im Mittelsatz wird die „doina“ beschworen, die schwerrmütige, mündlich überlieferte rumänische Gesangsmelodik. Im Flageolett der Violine, die eine Hirtenflöte nachahmt, äußern sich, wie in den starren Repetitionen des Klaviers, Leid und Einsamkeit. Das tänzerische Final-Allegro suggeriert in einem „parlando-rubato“, in assymetrischen Rhythmen, modalen Tonarten und verzierungsreicher Melodik die rumänische Volksmusiktradition. Doch in keinem der drei Sätze hat Enescu das heimatliche Idiom zitiert; er erfand es im Geist der Überlieferung neu – und die instrumentaltechnisch souveränen Musiker gehen in Feuer wie Feinsinn ganz in dieser „Muttersprache“ auf.
Zwar sind die fünf Einzelstücke des zweiten Albums nicht so stimmungsvoll koloriert wie die „Impressions d’enfance“ auf dem ersten. Doch lässt sich an ihnen Enescus musikalische Entwicklung von der noch ganz romantischen „Ballade“ (1895) mit zauberhafter Geigenkantilene in den Eckteilen und kontrastierender Dramatik im Mittelabschnitt bis zum kargen Spätstil des „Andante malinconico“ von 1951 nachvollziehen. Zwei Stücke sind Erstaufnahmen: die atemlos und hochvirtuos voranstürmende „Tarantelle“ von 1895 und die rhythmisch pointierte „Hora unirei“ von 1917, ein rumänischer Bauern-Gruppentanz.
Die Einspielung schließt mit der ersten Violinsonate D-Dur op. 2, komponiert vom sechzehnjährigen Enescu. Bei allem konstruktiven Formbewusstsein klingt sie manchmal noch unbeholfen. Dies üußert sich im klavierauszugshaften, tremolodurchsetzten Klaviersatz ebenso wie in der etwas demonstrativen Fugengelehrsamkeit im zweiten und dritten Satz. Dieser Huldigung an Bach stellt Enescu im Seitenthema des ersten Satzes sowie im dritten Satz Erinnerungen an Brahms gegenüber – ein weiterer seiner „Götter“, neben Bach und Beethoven. Und doch fesselt der Dreisätzer von seinen ersten, heftigen Takten an mit einer ganz eigenen, unberechenbaren Energie in den Ecksätzen. Sie findet ihren Widerpart im entrückten Violinmelos des „Quasi adagio“.
Azoitei und Stan entfachen rückhaltlos und stets kontrolliert das „heilige Feuer“ (Menuhin) dieses frühen Wurfs. Der Schluss wird zum Knalleffekt der Gesamteinspielung, die außer der bekannteren dritten Sonate auch Rares, Entdeckenswertes bietet. George Enescu, dieser universelle Musiker, den Menuhin als ein „Wesen wie ein Vulkan“ erlebte, „in Gedanken und Taten weit ausladend“, werde „vielleicht erst im 21. Jahrhundert den ihm gebührenden Platz einnehmen können“. So mutmaßte Menuhin in einem Vortrag für die „European String Teachers Association“, auszugsweise abgedruckt in den „Esta-Nachrichten“ vom März 1994. Womöglich ist die Gesamtedition nun ein Schritt in ebendiese Richtung.“
„Nun ist auch die Final-CD der ersten Gesamtaufnahme da:
Wieder treffen Remus Azoitei und Eduard Stan kongenial das Klangidiom des Rumänen. Überdies dokumentieren die von 1895 bis 1951 entstandenen Werke den kompletten Werdegang Enescus.“
„In einer hypnotischen Wiedergabe der dritten Sonate demonstrieren Azoitei und Stan tiefes Einfühlungsvermögen in die quasi-improvisatorische Natur der Satzart. Hervorragendes Spiel auch in der „brahmsischen“ ersten Sonate.”
„… 3. Violinsonate von 1926. Für die Wiedergabe dieses Werks haben Ida Haendel und Vladimir Ashkenazy die Messlatte hoch gehängt. Weniger rabiat, aber technisch perfekt und mit ausgeprägtem Klangsinn gehen die beiden Rumänen dieser Aufnahme zu Werke, schwelgen in impressionistischen Nuancen und entdecken wunderbare lyrische Momente. Der Geiger Remus Azoitei beherrscht auf seiner Stradivari das der rumänischen Doina entlehnte „parlando rubato“ und die an Dinicus Lerche erinnernden Vogelstimmen-Imitationen perfekt, der Pianist Eduard Stan – der übrigens auch den klugen Booklet-Text beigesteuert hat – lässt den Steinway-D-Flügel harte Rhythmen skandieren oder einem Zymbal gleich aufrauschen.“