JUSTUS HERMANN WETZEL (1879 – 1973) | |||
Hesse-Lieder | |||
1 |
Lampions in der Sommernacht | 2:48 |
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2 |
Blauer Schmetterling | 1:12 |
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3 |
Pfeifen | 1:46 |
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4 |
Flötenspiel | 1:58 |
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5 |
Bekenntnis | 2:24 |
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6 |
Inspiration | 4:57 |
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7 |
Zunachten | 2:22 |
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8 |
Nachklang | 1:47 |
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Eichendorff-Lieder | |||
9 |
Der Student op. 13/6 | 1:18 |
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10 |
Der Kehraus op. 13/6 | 2:10 |
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(11.-22. Duo Vermeulen/Vlad) | |||
Liederkreis op. 3 | |||
23 |
Wonne der Wehmut op. 3/1 – Goethe | 2:43 |
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24 |
Erster Verlust op. 3/2 – Goethe | 2:06 |
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25 |
Zum Abschied meiner Tochter op. 3/3 – Eichendorff | 1:37 |
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26 |
Der Reisebecher op. 3/4 – Meyer | 1:28 |
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27 |
An meine Mutter op. 3/5 – Mörike | 2:21 |
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Goethe-Lieder | |||
28 |
An den Mond op. 14/10 | 5:42 |
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29 |
Totalität – Kläffer | 2:13 |
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Gesamtspielzeit (inkl. Duo Vermeulen/Vlad) | 68:27 |
» Nachklang « – Lieder von Justus Hermann Wetzel
Peter Schöne, Bariton
Eduard Stan, Piano
Label: Genuin
Katalognummer: GEN 12223
Aufnahmedatum: 10.-13. Mai 2011
Aufnahmeort: Siemens-Villa Berlin
Flügel: Steinway & Sons D, Hamburg
Booklettext: © Nancy Tanneberger und Klaus Kopitz
Am 7. November 1952 schrieb der damals 75-jährige Hermann Hesse in einem Brief an Justus Hermann Wetzel: „Dieser Tage konnte ich aus Salzburg am Radio Ihre Lieder hören. (...) Ihre schöne, delikat differenzierte und an entzückenden Einfällen reiche Musik hat mir große Freude gemacht. Ich mag nicht mehr gern Briefe schreiben, doch musste ich Ihnen das sagen und dafür danken.“ In einem weiteren Brief verglich der Dichter Wetzels Hesse-Vertonungen sogar mit den Vier letzten Liedern von Richard Strauss, die er „überaus glatt und süss“ fand, und bekannte: „jedes Ihrer Lieder ist mir weit lieber“.
Hesse gehörte zu jenen Dichtern, die Wetzel zeitlebens besonders nahe standen. Seine erste Hesse-Vertonung entstand 1916. Neun Jahre später, 1925, erschienen erstmals fünfzehn seiner Hesse-Lieder als op. 11 im Druck. Wetzel sandte dem Dichter diesen „Liederkreis“, und in der Folge entspann sich zwischen Hesse und Wetzel eine rege Korrespondenz.
Zu den von Wetzel vertonten Hesse-Versen gehört auch das Herbstgedicht Nachklang, dessen Titel zugleich geeignet erscheint, einen Bogen zu dessen lange vergessenem Schaffen zu schlagen. Als Wetzel das Gedicht im Kriegsjahr 1943 vertonte, mögen Hesses melancholische Zeilen für ihn eine besondere Bedeutung gehabt haben: „Sterblich sind auch die Lieder, keines tönt ewig wieder, alle verweht der Wind.“ Und wenngleich namentlich Hesse die Bedeutung Wetzels erkannte, änderte das nicht viel daran, dass er ein Außenseiter blieb, dessen Schaffen zuletzt nur noch wenige Freunde kannten.
Doch das Vergessen war ihm nicht vorbestimmt. Speziell in den 1920er Jahren waren seine Lieder trotz – oder gerade auch wegen – ihrer stilistischen Nähe zur Spätromantik und zum klassischen Volkslied sehr beliebt. Durch bedeutende Interpreten wie Emmi Leisner, Paula Salomon-Lindberg, Julius von Raatz-Brockmann und vor allem Heinrich Schlusnus fanden sie den Weg zum Publikum. Noch zu Wetzels Lebzeiten entdeckte auch Dietrich Fischer-Dieskau dessen Liedkunst und nahm An meine Mutter (Mörike) und Der Kehraus (Eichendorff) für die Schallplatte auf.
Geboren am 11. März 1879 in Kyritz/Brandenburg, schlug Justus Hermann Wetzel zunächst eine naturwissenschaftliche Laufbahn ein und promovierte 1901 in Marburg mit einer zoologischen Arbeit. Kurz darauf zog er nach Berlin, wo er noch Komposition und Klavier studierte und in der Musik seine eigentliche Berufung fand. Seinen Lebensunterhalt verdiente er zunächst als Musikkritiker und Privatlehrer. Von 1905 bis 1907 übte er eine Lehrtätigkeit am Riemann-Konservatorium in Stettin aus, 1910 ließ er sich endgültig in Berlin nieder und war dort bis 1926 Lehrer für Klavier und Musiktheorie am renommierten Konservatorium Klindworth-Scharwenka.
1911 gab Wetzel erstmalig einige seiner Lieder im Selbstverlag heraus. In den darauf folgenden Jahren erschienen seine „Liederkreise“ dann in bekannten Verlagen. Im Laufe seines Lebens komponierte er mehr als 600 Lieder mit Klavierbegleitung, von denen bis heute etwa 140 gedruckt vorliegen. Seine bevorzugten Dichter waren Goethe, Eichendorff und Mörike, aber auch modernere wie Hesse und der Schweizer Carl Spitteler. Sucht man nach den Wurzeln seiner Vertonungen, so findet man sie zunächst bei Schubert, Brahms und Hugo Wolf. Dennoch ist Wetzel in seinen Liedern alles andere als epigonal, sondern ein eigenständiger Künstler. Wie er selbst bemerkte, strebte er jedoch nicht so sehr „Originalität“ an, sondern Einfachheit, Klarheit in der Melodie und zugleich einen tiefen Stimmungsgehalt, der mit der Dichtung harmoniert.
Anlässlich seines 50. Geburtstags am 16. März 1929 widmete die Berliner Singakademie Wetzel einen Konzertabend, bei dem ausschließlich Werke des Jubilars auf dem Programm standen. Der Musikkritiker Heinz Pringsheim, ein Schwager Thomas Manns, charakterisierte die Lieder Wetzels in einer Besprechung des Konzertes in der Allgemeinen Musikzeitung treffend: „Justus Hermann Wetzel (...) ist auf dem Gebiet der Liedlyrik mancher schöne Wurf gelungen, hervorgegangen aus seinem innigen Verhältnis zu den Dichterworten, die ihm zu Musik werden. (...) Man kann sie nicht vordergründig originell nennen, seine Lieder, und doch haben sie einen eigenen Ton, der sie von anderen deutlich unterscheidet, eine unverkünstelte Reinheit der Empfindung und Schlichtheit des Ausdrucks.“
Im Rahmen des Jubiläums würdigten mehrere Zeitungen und Zeitschriften Wetzels Schaffen; die Allgemeine Musikzeitung veröffentlichte die Porträt-Lithographie von Emil Orlik (1919) auf dem Titelblatt ihrer aktuellen Ausgabe. Einen weiteren Höhepunkt in der öffentlichen Wertschätzung stellte eine 1931 erschienene Wetzel-Monographie dar.
Seit 1926 hatte Wetzel ein gut dotiertes Lehramt für Musikästhetik, Theorie und Gehörbildung an der Staatlichen Akademie für Kirchen- und Schulmusik in Berlin-Charlottenburg inne. Zu seinen heute bekanntesten Schülern zählen die Komponisten Mark Lothar und Friedrich Metzler sowie der Pianist Gerhard Puchelt.
Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten im Januar 1933 zog sich Wetzel zunehmend aus der Öffentlichkeit zurück. Um seine Familie – seine Frau Rose Wetzel geborene Bergmann und die 1924 geborene Tochter Ruth – versorgen zu können, war er jedoch weiter auf sein Lehramt angewiesen. Mehrere Versuche Wetzels, mit seiner Familie in die Schweiz zu emigrieren, scheiterten, obwohl die Tochter des Schweizer Nobelpreisträgers Carl Spitteler – mit dessen Werk sich Wetzel zeitlebens auseinandersetzte – für die Familie bürgte.
Die Beschäftigung Wetzels mit Spitteler, der 1914 die viel beachtete Streitrede Unser Schweizer Standpunkt publiziert hatte, in der er für eine Neutralität der Schweiz plädierte, entsprang dessen eigener pazifistischen Grundeinstellung. Bereits 1905 hatte Wetzel eine Schrift mit dem Titel Die Verweigerung des Heerdienstes und die Verurteilung des Krieges veröffentlicht, in der er jegliche Form von Gewalt ablehnt – eine Haltung, die Wetzel auch konsequent gelebt hat.
Im Juli 1937 wurde Wetzels berufliche Karriere für viele Jahre unterbrochen. Er wurde aus der Hochschule entlassen und mit Aufführungsverbot belegt, weil er bedingungslos zu seiner jüdischen Frau hielt und es ablehnte, sich von ihr scheiden zu lassen. Hans Hinkel, ein enger Vertrauter Goebbels’ und Sonderbeauftragter für „Kulturpersonalien“, hatte dies persönlich von Wetzel verlangt. Das Überleben der Familie war seit dieser Zeit von Freunden abhängig, die sie mit Lebensmitteln und dem Nötigsten unterstützten. Rose Wetzel wurde 1943 in der Berliner Rosenstraße inhaftiert, kam aber im Zuge der als „Frauenprotest in der Rosenstraße“ berühmt gewordenen Protestaktion wieder frei.
Während dieser existentiell bedrohlichen Zeit bedeutete der – wenn auch bis Kriegsende seltene – Gedankenaustausch mit dem in der Schweiz lebenden Hesse und die Auseinandersetzung mit dessen Werk für Wetzel Trost und Zuspruch. Ein großer Teil seiner Hesse-Vertonungen entstand in den Tagen nach dem 5. März 1943, als Rose Wetzel aus der Gestapo-Haft entlassen wurde, darunter Zunachten, Nachklang und Inspiration („Nacht. Finsternis“). Wenige Monate später, am 23. November 1943, wurde die damalige Wohnung der Familie in der Düsseldorfer Straße bei einem Bombenangriff zerstört, wodurch auch zahlreiche von Wetzels Werken vernichtet wurden.
Nach Kriegsende wurde Wetzel rehabilitiert. Man bat den nunmehr 66-Jährigen, eine Professur für Komposition und Musiktheorie an der wiedergegründeten Hochschule für Musik in Berlin-Charlottenburg anzunehmen. Wetzel folgte der Berufung, fand aber bei den Studenten – wie überhaupt in der damaligen Musikwelt – nur noch geringe Resonanz, da seine Werke nicht mehr dem neuen Zeitgeist entsprachen, den jetzt Komponisten wie Schönberg, Hindemith und Strawinsky verkörperten.
1948, zur Zeit der sowjetischen Blockade, gab Wetzel seine Berliner Professur auf und zog sich mit seiner Frau nach Überlingen am Bodensee zurück. Dort widmete er sich von nun an ganz seiner künstlerischen Tätigkeit, dem Schreiben und Komponieren. Noch zu Lebzeiten des Komponisten resümierte 1968 der Musikwissenschaftler Werner Dürrson, Wetzel sei „der vielleicht letzte bedeutende Vertreter des an klassischen und romantischen Formen geschulten traditionellen Kunstlieds“.
Am 6. Dezember 1973 starb Wetzel im hohen Alter von 94 Jahren in seinem Überlinger Heim.
1999 gelangte sein Nachlass durch Vermittlung seiner in Paris lebenden Tochter Ruth Ruiz-Pipó an die jetzige Universität der Künste Berlin. Mit Hilfe der kurz darauf gegründeten Justus-Hermann-Wetzel-Stiftung wurde Wetzel in Ausstellungen in Berlin (2004) und Überlingen (2005) gewürdigt sowie seine gesamten Hesse-Lieder im Druck herausgegeben (2006). Darüber hinaus wurde 2008 erstmals ein Justus-Hermann-Wetzel-Stipendium ausgeschrieben, um das sich junge Sängerinnen und Sänger bewerben können, die sich für Wetzels Schaffen einsetzen.
Einen wichtigen Beitrag zur Wiederentdeckung von Wetzels Werk möchte auch die vorliegende CD leisten. Wir hoffen, dass die Lieder in den Neuinterpretationen der jungen Künstler Olivia Vermeulen und Peter Schöne einem noch größeren Publikum zugänglich werden.
© Nancy Tanneberger und Klaus Martin Kopitz
Alt oder neu? (…) Eine echte Bariton-Entdeckung
„Die acht Hesse-Lieder auf dieser CD beeindrucken denn auch sämtlich durch den sensiblen Umgang mit den Texten. Der junge Bariton Peter Schöne gestaltet sie berückend mit belastbarer, in allen Lagen schlank und mit sauber geführter Stimme. Aus der Gruppe ragen das mit frischer, fast rotwangiger Ironie vorgetragene 'Pfeifen' und das schlicht-melancholische, die CD betitelnde ‚Nachklang‘ heraus. 'Zunachten' hingegen kommt doch, kein völliger Einzelfall unter den Liedern auf dieser CD, ein wenig kunstgewerblich daher. Musikalisch vertrackt wirkt 'Inspiration': Der Bariton muss zu Beginn tief hinuntersteigen, am Ende dagegen ein sauberes Diminuendo in der hohen Lage abliefern. Peter Schöne besteht auch diese Herausforderung souverän, begeistert überdies mit je zwei Goethe- und Eichendorff-Liedern sowie dem 'Liederkreis' op. 3 von 1919. Er gewinnt seiner nicht einmal besonders individuell timbrierten Stimme unzählige Farben ab und singt stets absolut textverständlich.
Der Pianist Eduard Stan ist ihm ein Begleiter auf höchstem Niveau, der über sein Spiel Verbindungen sowohl zur frühen Nachromantik eines Max Reger als auch zum musikalischen Impressionismus aufzeigt. (…) ‚Nachklang‘ ist ein bis in sorgfältig gemachte Booklet technisch hervorragend gemachtes Projekt, das geeignet scheint, zumindest das eine oder andere von Wetzels lyrischen Stücken dem allgemeinen Kunstliedrepertoire zurückzugewinnen.“
Andreas Falentin, 9. März 2012
KLASSIK.COM